Goldrush
Unterwegs (Erzgebirge)
Hohenstein-Ernstthal, 5.12.2020
J: Wir stehen hier vor der Weihnachtspyramide.
Was hat das mit Dir zu tun?
B: Ich hab grad einen Stollen gebacken (gekauft?), bei der Bäckerei Müller.
Ich denke, ich kann da emotional keine Verknüpfung herstellen.
Ich sehe, dass die Pyramide vis à vis der Mohrenapotheke ist.
Da steht sogar eine Statue oben drauf.
Und vis à vis der Stadtinformation ist das Textilien- und Geschenkartikel „preiswert und gut“.
Asiamarkt. Der ist leer. Während die Feinbäckerei Friedemann aber noch auf ist.
Ich weiß nicht, was das bedeutet. Nur dass da auf jeden Fall ein paar Verknüpfungen hier schon ganz augenfällig werden, wenn du nur so ein paar Sätzen, Worten auf den Häusern (folgst?).
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J: Und was ist das für eine Statue (auf der Weihnachtspyramide)?
B: Eine Frau, die so Wasser schöpft.
Ich seh, dass da wieder mal überhaupt nur eine Frau auf dem Ding ist.
J: Nee, Zwei. Eine oben und eine unten.
Da ist eine mit einem Stollen.
Eine Frau mit einem Kopftuch.
B: Aber die hat doch eine Hose an.
J: Ja, aber das ist eine Frau.
B: Woran siehst du das, wenn die eine Hose anhat?
J: Also, an dem Kopftuch, an dem Gesichtsausdruck.
B: Das muss ich kurz ein bisschen näher betrachten.
J: Also wir (Tanja und ich) waren uns total einig, dass es ne Frau ist.
B: Also, es ist interessant, dass da unten auf dieser Bergarbeitsetage eine Frau drauf ist.
Also, oder ein effeminierter Mann. Queer.
Guck dir mal die Schuhe an, die sie hat.
Also, hohe Stiefeletten. Oder er.
Ich sehe nur EINE Frau, und zwar die in dem Rock da oben. Mit dem Reisig.
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B: Das ist ja hier so eine Art Fantasialand.
Und diese Fantasialandsachen sind eigentlich austauschbar.
J: (Als ich von dieser Bäckerei Müller hier zur Pyramide gelaufen bin,)
Es gibt da vorne so eine Ecke, und ich weiß wirklich nicht, wo das herkommt, wo es ganz doll nach Tannen riecht. Aber hier eben nicht. Es war da. Da ist aber überhaupt keine Tanne. Das hat irgendwie das größte Gefühl für mich gemacht, dieser Geruch.
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Innereien 1
Worüber kann gesprochen werden? Dass es da Geschichten und Kulissen gibt, die etwas verstecken. In Kuhlenkampffs Schuhe wird von posttraumatischen Belastungsstörungen gesprochen. Ich erinnere mich an M., der erzählt, wie seine Eltern und die seiner Freunde nach Abwicklung der DDR auch in einem ähnlichen Schockzustand waren, der nie besprochen wurde, nur eine Ratslosigkeit, eine Wortlosigkeit übrig blieb. Ein Weitermachen.
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Dialoge zum Bergbau (Thema #1) – und am Ende ein neuer Slogan
J: Aber dieses komische Phänomen, dass dann irgendwie so eine Selbstheroisierung, dass man daraus irgendwie so’n Fetisch macht, das haben wir ja nach dem Wismut-Film in Bochum auch schon mal diskutiert.
B: Das ist ne Totalidentifikation.
J: Und bei der Wismut wurde das doch richtig so hervorgebracht, oder? Dass du einen eigenen Pass hattest und so. Das erinnere ich noch aus dem Film.
B: Ich erinnere das auch noch, dass die so voll stolz davon erzählt haben, so der Alte Adel.
T: Aber gleichzeitig wussten die ja trotzdem, was das mit dem Uran auf sich hat, oder jeder wusste irgendwas, dass das nicht koscher ist.
J: Aber vielleicht muss man sich auch noch mal überlegen, dass 1) gehören wir zu einer Szene von Leuten, die so kritisch Atomkraft und -bomben und so gegenüberstehen. Aber das ist ja nicht die ganze gesellschaftliche Realität. Und ich glaube, dass das zu der Zeit von ganz vielen Menschen – noch mehr als jetzt – auch als so eine Art Fortschrittserzählung gegolten hat. Das ist ja auch eine Art, Macht zu demonstrieren, dass man der Erde so krasse Schätze abtrotzen kann. Das kommt ja auch immer noch bei diesem Bergarbeiterding so rein, eben, dass man die Bodenschätze hebt. Man ist ja wie so ein Schatzgräber.
Dass man die Gesellschaft voranbringt, dass man Deutschland wieder hochgeholt hat, nach dem Krieg. Das ist auch ein Stolz darauf.
T: Sonst würden die sich nicht auch nachher noch eine Paradeuniform anziehen und weiter in dem Bergmannschor, weißte.
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J: Was ich jetzt aber auch im Erzgebirge noch mal krass fand, wie dieses Weihnachten, dieses christliche Ding mit dem Arbeiterethos verschmilzt. Also auch da jetzt, auf diesem Bürgermeisterbalkon, wo dann vier Bergmänner Weihnachtschoräle posaunen.
B: Ja, da kommen drei Sachen zusammen: Institution, der Arbeiter und dann noch der Pope.
J: Naja, und die waren da ja auch ziemlich stolz auf ihren Pferdegöpel.
B: Ja, aber wenn die das alles selbst gebaut haben da, mit dem Holz, dann war das ja auch eine massive Baustelle.
T: Ja mega, das war ja wunderschön.
J: Aber ich meine, dass sie sich damit ja auch sehr affirmativ auf den Bergbau beziehen. Und gleichzeitig haben sie ja, bis wir dann mal draußen standen und über die Entwicklung von Johanngeorgenstadt gesprochen haben, null über Wismut und Uranbergbau gesprochen. Sondern da ging’s um den alten, edlen Bergbau. Und dass es wie so zwei Kapitel von Bergbau da gibt.
Und ich denke, diese Typen, die da auf dem Balkon heute standen, die beziehen sich auch nicht auf das Erbe vom Uran-Bergbau. Das wird ja eher so ein bisschen weggeschwiegen. Damit wird ja nicht geworben.
T: Jetzt wäre es ja interessant, mit den Fuzzis von der Wismut-AG zu sprechen.
J: Man müsste aber noch mal bisschen klarer wissen, wonach fragt man da eigentlich.
T: Ja, aber man muss ja wissen, dass das Erbe der Wismut auch schon wieder institutionalisiert wurde. Da gibt’s dann so eine Website und für die ist alles clean und klar.
Clean und klar. Die Ost-West-AG
(Gespräch über einen Song von Men at work.
T: War ja auch unser Thema heute, Männer bei der Arbeit.)
(B beim Spülen: Dass man immer alles aus der Erde rausholen muss, das kotzt mich an, echt.)
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Innereien 2
Ein Verfahren, das mich am meisten interessiert, um Zusammenhänge herzustellen: Schlechte Imitation.
Wir pendeln zwischen Aktionskunst und Strichfassungen.
Folklore ist eine Art, sich klar in die Welt zu stellen. Etwas, das sich zwar verändert, aber doch im Kern gleich bleibt, wiedererkennbar durch die Zeiten, tradiert. Ein Ankerpunkt in einem stets sich wandeln zu scheinenden Weltgefüge. Sinn stiften. Sich auf eine Folklore beziehen zu können, sie (gemeinsam) auszuüben, ist eine Form, aus dem ständigen Entwerfen auszusteigen, zu pausieren, sich in etwas Überliefertes einfach einzufügen.
Johanngeorgenstadt erscheint als zugiger Leerstand, in dem zwar mehr und größere Statuen stehen als an jedem anderen Ort, gleichzeitig aber nichts mehr dahinter steht und über Wesentliches anscheinend nicht gesprochen werden kann. So etwas à la “Die Wismut hat es nie gegeben”. (Hier wieder Randy “Die DDR hat es nie gegeben”, und vielleicht eine Generation vorher “Die Nazis hat es nie gegeben”). Ich sage abends, dass ich an Wild West-Szenarien denken muss, in einem Zeitungsartikel steht, dass hier einst eine Art Goldrush in der Luft lag. Ja, was ist so existentiell daran, dass die Weihnachtsparaden nicht mehr stattfinden? Was deckt der Zuckerguss zu, wendet ab, versüßt? Wismut und Wende….
Die Ost-West-AG / Betty Schiel, Johanna-Yasirra Kluhs und Tanja Krone im Gespräch, in einer Fassung von Johanna-Yasirra Kluhs und Tanja Krone
Fotos von Betty Schiel